Vom 13. bis zum 15. September wollen sich in Leipzig die Regierungschef*innen aller europäischen Länder mit der Staatsführung Chinas treffen. Dabei wird es nicht bloß um die Intensivierung von Handelsbeziehungen gehen. Vielmehr geht es darum, eine neue globale Partnerschaft aufzubauen, damit die EU auch zukünftig nicht vom Tisch der Großmächte verdrängt wird. Durch die Verschlechterung des Verhältnisses der EU mit den USA unter Donald Trump wurde die Suche nach einem anderen Partner notwendig, der die Ausgestaltung der eigenen globalen Interessen mit der EU koordiniert. Themen des Gipfels sind daher neben den Wirtschaftsbeziehungen auch Außen- und Sicherheitspolitik und – wenig überraschend – Digitalisierung und digitale Zusammenarbeit, sowie Klimaschutz und Menschenrechte. Grundlage für den Gipfel bilden strategische Positionspapiere, die bereits in der EU-China 2020 Strategic Agenda for Cooperation aus dem Jahr 2013 ihren Anfang nahmen und seitdem bei den jährlichen Treffen immer konkreter wurden. Dieses Jahr treffen sich dann das erste Mal nicht nur repräsentative Vertreter*innen aus China und der EU, sondern alle Staats- und Regierungschef*innen.
Wirtschaftliche Zusammenarbeit
Der Kernpunkt der Agenda bezieht sich auf den zukünftigen Handel zwischen der EU und China. China ist nach den USA der wichtigste Handelspartner für die EU, andersrum ist die EU wichtigster Handelspartner für China. Beide teilen Wirtschaftskonflikte mit den USA, die für China wiederum der zweitwichtigste globale Handelspartner sind. Der Gipfel ist damit auch eine Veranstaltung, um Druck auf die USA auszuüben und die deutlich verschlechterte Position der EU und China gegenüber den USA zu stärken. Die neuen Handelsbeziehungen sollen ihren Ausdruck finden in dem wechselseitigen Öffnen neuer Märkte, wie auch dem Bestreben der EU, die Position Chinas in der WTO zu stärken und voranzubringen. Denn das Verhältnis Chinas zur WTO ist nicht konfliktfrei: Speziell die USA nutzen immer wieder Verweise auf die Menschenrechte, um die chinesische Position in der WTO zu schwächen und Bedingungen aufzustellen, um eine Anpassung Chinas an amerikanische Produktionsbedingungen zu erzwingen; Hintergrund hierfür sind die Wettbewerbsnachteile, die den USA und zum Teil auch der EU durch Gesetze zu Arbeitsschutz und dem Vorhandensein von, wenn auch schwachen, Gewerkschaften entstehen. Um die Position Chinas zu stärken, ohne dass eine tatsächliche Anpassung stattfinden muss, wurde 2018 eine EU-China-Arbeitsgruppe mit dem Schwerpunkt WTO eingerichtet. Da auch in Europa der Abbau und die Aufweichung von Arbeitnehmer*innenrechten voranschreitet, lässt sich erahnen, dass durch die Kooperation zwischen der EU und China nicht die Arbeitsbedingungen in China verbessert werden sollen. Die Zusammenarbeit Europas mit China ist damit ein unmittelbarer Angriff auf jede noch so kleine Reformbestrebung in China sowie auf die Arbeitsbedingungen in Europa.
Außen- und Sicherheitspolitik
Ein weiterer zentraler Punkt des Treffens wird die Koordination einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sein. Auch hier hat sich gezeigt, dass die USA als verlässlicher Partner für Europa nicht bedingungslos zur Verfügung steht. Um nicht abhängig zu sein von der militärischen Kooperation mit den USA, sollen europäische Interessen zukünftig in Zusammenarbeit mit China verfolgt werden. Dabei wird unter anderem auch eine Intensivierung militärischer Zusammenarbeit in Afrika angestrebt. Sowohl China als auch die EU sind dabei, den afrikanischen Kontinent weiter zu kolonialisieren; neben der Absicherung seltener Erden als Ressourcen geht es ebenfalls darum, eigene Produktionsstätten in den afrikanischen Ländern zu errichten. Dies dient zum einen der europäischen Kostenminimierung für europäische Großkonzerne, die an den europäischen Bedingungen von Arbeitssicherheit und -rechten vorbeiproduzieren wollen, sowie dem Betrieb notwendiger Infrastruktur in Afrika durch chinesische Konzerne. Der Aufbau von Infrastruktur sowie die Auslagerung der Produktion ergeben ein gemeinsames Interesse, wenn nötig militärisch gegen alle bewaffneten Gruppierungen vorzugehen, die die eigenen Interessen gefährden. Daneben spielen die Absicherung gegen sogenannte „Piraterie“, wie am Horn von Afrika und dem Golf von Aden eine zentrale Rolle bei der Absicherung der eigenen wirtschaftlichen Verkehrswege.
Es geht insgesamt aber noch um mehr. So lobt die EU in der Vorbereitung zum Gipfel ausdrücklich die chinesische Unterstützung im Konflikt mit dem Iran bezüglich der Urananreicherung, während die EU China ihre Unterstützung bei Konflikten und Problemen im asiatischen Raum andeutet, sowie der Absichtserklärung, sich auch allgemein weltweit gemeinsam für Frieden einzusetzen. Was das bedeutet, verdeutlicht ein weiteres in der Vorbereitung erwähntes Beispiel. So wird als erfolgreiches Projekt eines internationalen Engagements für den Frieden Afghanistan genannt; wer sich die Folgen einer solchen Intervention anschauen mag, kann hier sehen, dass dieser Frieden bloße Propaganda gewesen ist. Tatsächlich haben die USA und Europa hier eine zutiefst von Gewalt geprägte Region zurückgelassen, die in weiten Teilen wieder unter der Gewaltherrschaft der Taliban steht.
Digitalisierung und Cybertechnologie
Bereits jetzt arbeiten die EU und China im Bereich Digitalisierung und Cybertechnologie zusammen. Dabei geht es nicht nur um das Engagement chinesischer Firmen auf dem europäischen Markt, wie etwa Huawei bei der Einführung des 5G-Netzes, sondern auch um inhaltlichen Austausch. Hierzu trifft sich jährlich die Cyber-Taskforce EU-China. Was es damit auf sich hat, wird deutlich, wenn man sich das Vorbereitungspapier der EU ansieht. Dort heißt es, die „Cyber-Taskforce EU-China bietet Gelegenheit zum Meinungsaustausch in Bereichen wie Regierungsstruktur und -strategie, Normen für verantwortungsbewusstes staatliches Verhalten im Cyberspace und vertrauensbildende Maßnahmen im Cyberspace“. Was „Meinungsaustausch in Bereichen wie Regierungsstruktur und -strategie“ vermuten lässt, sind Gespräche über die chinesischen Projekte zum SocialCreditSystem, bei welchem die chinesische Regierung nicht nur alle Menschen in China permanent überwacht, sondern auch sozial erwünschtes Verhalten durch allgemeine soziale Kontrolle belohnt und abweichendes Verhalten sanktioniert wird. Ein Austausch, wie er angegeben wird, findet hier ohnehin bloß einseitig statt, insofern, dass sich die EU anschauen und anhören kann, was es in China bereits gibt; was Digitalisierung und Cybertechnik angeht ist die EU weit abgehängt. Nicht zuletzt hieraus begründet sich das Interesse an einer intensiveren Zusammenarbeit mit China, welches gerade im Bereich Technologie – und hier eben expliziter Technologie, um Menschen technisch zu kontrollieren und deren Verhalten zu lenken – eine Vorrangstellung für sich beanspruchen kann.
Klimaschutz und Menschenrechte
Auch Klimaschutz und Menschenrechte stehen mit auf der Agenda des EU-China-Gipfels. Beides ist jedoch nicht mehr als Makulatur; beides dient zur medialen Beschönigung der eigentlichen Absichten. Aus Perspektive der EU ist das Einfordern der Menschenrechte allein schon deshalb lächerlich, weil die EU selbst den Abbau der ohnehin schwachen Menschenrechte derzeit massiv vorantreibt, wie aktuell in aller Deutlichkeit am Umgang mit Flüchtenden an den EU-Außengrenzen oder in Flüchtlingslagern zu sehen ist, um von den vergangenen Unrechten gar nicht zu reden, als auch mit dem autoritären Einschränken von nahezu allen Grund- und Freiheitsrechten im Rahmen der Corona-Pandemie. Für China hingegen gibt es gar keinen Grund sich von der Europäischen Union belehren zu lassen; der Erfolg der chinesischen Wirtschaft ist nahtlos verknüpft mit den ausbeuterischen und lebensfeindlichen Produktionsbedingungen, die es ermöglichen Waren zu konkurrenzlosen Schleuderpreisen in die ganze Welt zu exportieren. Neue Bestimmungen hinsichtlich des Klimaschutzes oder beispielsweise den Zwang für Firmen, auch bei den einzelnen Zulieferern der Waren auf die Einhaltung der Menschenrechte zu achten, wurden bezüglich der Corona-Pandemie auch gleich als erstes wieder zurückgepfiffen.
Der Gipfel in Leipzig
Den Gipfel in Leipzig durchführen zu wollen, kommt einer Dominanzgeste der deutschen Bundesregierung gleich, die nach dem G20-Gipfel in Hamburg zeigen möchte, dass es möglich ist, einen Gipfel durchzuführen, auch wenn er in einer Stadt durchgeführt wird, die einen Ruf als „linke Hochburg“ innehat. Für die sächsische Landesregierung unter Ministerpräsident Kretschmer und den Leipziger Oberbürgermeister Jung geht es schlicht um eine Belebung des Wirtschaftsstandorts Sachsens und Leipzigs, sowie einen durch Bundesressourcen unterstützten Ausbau des polizeilichen Sicherheitsapparates. Der Ausbau des wirtschaftlichen Standorts geht einher mit dem Ausverkauf von Städten, Gemeinden, Freiflächen und Wohnraum, der in den größeren Städten bereits zu anhaltender Verdrängung führt, inklusive der damit zusammenhängenden Zersetzung sozialer Bezüge und Leben einzelner vor allem ärmerer Menschen sowie dem anhaltenden Zuzug wohlhabender Menschen in die größeren Städte. Um diese Entwicklung gegenüber einer weiter verarmenden Unterschicht abzusichern, wird der Sicherheitsapparat zunehmend ausgebaut. Der Gipfel als Veranstaltung steht hierfür symbolisch. Neben den vorher erwähnten Punkten, die einen Angriff auf den Gipfel aus allen Teilen der Welt rechtfertigen, hat dies eine weitere lokale Bedeutung. Begründet wird das Stattfinden des Gipfels vom sächsischen Innenministerium wiefolgt: „Gerade in Zeiten, in denen fast alle Veranstaltungen für die nächsten Wochen und Monate abgesagt bzw. verschoben und Unternehmen aus den Bereichen Tourismus, Gastgewerbe, Messen etc. besonders hart getroffen werden, hält es die Staatsregierung für das richtige Zeichen, an dieser Veranstaltung festzuhalten. Leipzig als Messestadt und Veranstaltungsort ist geübt und erfahren mit der Durchführung von internationalen und hochrangigen Treffen und Veranstaltungen. Insofern hat die Staatsregierung volles Vertrauen gegenüber dem Bund, bei der Auswahl der Veranstaltungsorte auch die Belange der Leipziger Stadtgesellschaft ausreichend zu berücksichtigen.“
Nein zum Gipfel!
Mehr als alles bedeutet der EU-China-Gipfel die weitere Zuspitzung des Kampfes von oben nach unten. Armut und Wohlstand sollen zugunsten von Wirtschaft und herrschenden Eliten weiter umverteilt werden. Dem wollen wir nicht tatenlos zusehen und den Gipfel nach unseren Möglichkeiten angreifen und bekämpfen. Trotz kurzer Vorbereitungszeit, trotz Corona-Pandemie und all der Enge, die sie mit sich bringt:
Wir rufen euch alle dazu auf, vom 13. bis zum 15. September nach Leipzig zu kommen und mit uns zusammen den Gipfel anzugreifen! Den Herrschenden keine Ruhe – nicht hier in Leipzig und nicht anderswo! Nein zum EU-China-Gipfel!